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Was uns nicht berührt…

Was uns nicht berührt, verwandelt uns nicht 

Berührungen sind mannigfaltig und sprechen uns über unsere fünf Sinne an. Einen Teil davon erfahren wir über optische Eindrücke und Wahrnehmungen, Beobachtungen, Bilder und Metapher. In meiner Collage oben spricht uns jedes Bild auf seine eigene Art an und vermittelt Berührtsein in ganz unterschiedlicher, subjektiver Form und Intensität. Von links oben beginnend und im Uhrzeigersinn betrachtet stehen die Einzelbilder z.B. für Ergriffenheit und menschliche Wärme, den berühmten Aha-Effekt, Größe und Unendlichkeit, Frieden und Vergänglichkeit, Schönheit und Stille, Kindlichkeit und Staunen, Nachdenklichkeit und Entschluß, Sinnlichkeit und Faszination, Aufbruch und Unruhe, Liebe und Mütterlichkeit und letztendlich Natur und Entspannung.

Diese Zuordnungen gelten für mich persönlich, andere generieren aus diesen Bildern möglicherweise ähnliche oder auch völlig andere Eigeschaften. Aber eines gilt für alle Betrachter: Nur ein Teil dieser Bilder geht uns wirklich nahe, nur einem kleinen Teil dieser bildhaften Berührungen gewähren wir wirklich Zugang zu unserer Seele…

“Was uns nicht berührt, verwandelt uns nicht” ist ein Zitat von Carl-Gustav Jung, Begründer der analytischen Psychologie

(v.k.)

Der Film des Lebens

Der Film des Lebens…

Hör’, was geheime Wissenschaft verkündet:
In jenem allerletzten Augenblick,
Wo sich dein Geistiges vom Körper trennt
Und in das Ätherreich des Ew`gen mündet.
Wo es den Schmerz der Zeit nicht kennt –
In jenem allerletzten Augenblick
Rollt sich dir magisch mit Sekundenschnelle,
Volldeutlich bildhaft und in Farbenhelle
Noch einmal ab dein irdisches Geschick!
Du siehst auf Mutter und Geburt zurück
Und siehst in langer, wechselvoller Reihe,
Seltsam umschauert von der letzten Weihe,
All das, was dir vergönnt war, durchzuleben!
Du siehst Geschehenes vorüberschweben,
Liebe und Haß, Gewalt’ges und Gemeines,
Glück, Unglück, Sieg und Niederlage,
Den holden Glanz versunkener Frühlingstage,
Die unerhörte Pracht der Welt des Scheines!
Des Sommers Fülle, alle Herrlichkeit,
Mit der dein schöner Pfad war benedeit!
Kunst und Natur und Spiel und Scherz,
Die Lust, die jauchzend überquoll,
Dein Bettleraug’, von Tränen übervoll,
Dein Kinderlachen und den Mannesschmerz!
Und alles das, Erhab’nes, Großes, Kleines,
War einst ein Menschenleben und war deines!
Ja, hör’, was heimlich Wissen dir verkündet:
Du schaust im allerletzten Augenblick,
Wenn Geistiges in seine Heimat mündet,
Noch einmal, wie es abrollt, dein Geschick,
Du schaust in der Sekunde des Hinüberschwebens
Den Film des eig’nen, wunderreichen Lebens!

Max Hayek

image: pixabay
Quellen:
♦ Siber, Stephan: “Max Hayek- Ein Wiener Schriftsteller, der zweimal Rudolph Steiner begegnete”; Schweizer Mitteilungen, I-2016, Seite 8 ff. (Die “Schweizer Mitteilungen” sind das Publikationsorgan der Anthroposophischen Gesellschaft in der Schweiz)
♦  https://www.volkerkliem.de/das-leben-das-ich-selbst-gewaehlt-2/

(v.k.)

Hermann Hesse: “Stufen”

STUFEN

Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf’ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden…
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

                                   ***

 

(aus: “Das Lied des Lebens, Die schönsten Gedichte von Hermann Hesse“, Suhrkamp-Verlag Frankfurt am Main, 1986)

(v.k.)

Hermann Hesse: “Manchmal”

MANCHMAL

Manchmal, wenn ein Vogel ruft
Oder ein Wind geht in den Zweigen
Oder ein Hund bellt im fernsten Gehöft,
Dann muß ich lange lauschen und schweigen.
 
Meine Seele flieht zurück,
Bis wo vor tausend vergessenen Jahren
Der Vogel und der wehende Wind
Mir ähnlich und meine Brüder waren.
 
Meine Seele wird ein Baum
Und ein Tier und ein Wolkenweben.
Verwandelt und fremd kehrt sie zurück
Und fragt mich. Wie soll ich Antwort geben?

                              ***

(aus: “Das Lied des Lebens, Die schönsten Gedichte von Hermann Hesse“, Suhrkamp-Verlag Frankfurt am Main, 1986)

(v.k.)

Hermann Hesse: “Kennst du das auch?”

KENNST DU DAS AUCH ?

Kennst du das auch, daß manchesmal
Inmitten einer lauten Lust,
Bei einem Fest, in einem frohen Saal,
Du plötzlich schweigen und hinweggehn mußt?

Dann legst du dich aufs Lager ohne Schlaf
Wie Einer, den ein plötzlich Herzweh traf;
Lust und Gelächter ist verstiebt wie Rauch,
Du weinst, weinst ohne Halt – Kennst du das auch?

                               ***

(aus: “Das Lied des Lebens, Die schönsten Gedichte von Hermann Hesse“, Suhrkamp-Verlag Frankfurt am Main, 1986)

(v.k.)