Buch-Lesetip:
Klaus Mann: “Kindernovelle”, Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt/Main, 1999
(v.k.)
Der Orientalische (Türkische) Mohn ist eine der augenfälligsten Mohnarten mit riesigen Blüten und großer Farbenvielfalt…
(v.k.)
Wie jede Blüte welkt und jede Jugend
Dem Alter weicht, blüht jede Lebensstufe,
Blüht jede Weisheit auch und jede Tugend
Zu ihrer Zeit und darf nicht ewig dauern.
Es muß das Herz bei jedem Lebensrufe
Bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
Um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
In andre, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
Der uns beschützt und der uns hilft, zu leben.
Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
An keinem wie an einer Heimat hängen,
Der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
Er will uns Stuf’ um Stufe heben, weiten.
Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
Und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
Mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.
Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
Uns neuen Räumen jung entgegen senden,
Des Lebens Ruf an uns wird niemals enden…
Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!
***
(aus: “Das Lied des Lebens, Die schönsten Gedichte von Hermann Hesse“, Suhrkamp-Verlag Frankfurt am Main, 1986)
(v.k.)
Manchmal, wenn ein Vogel ruft
Oder ein Wind geht in den Zweigen
Oder ein Hund bellt im fernsten Gehöft,
Dann muß ich lange lauschen und schweigen.
Meine Seele flieht zurück,
Bis wo vor tausend vergessenen Jahren
Der Vogel und der wehende Wind
Mir ähnlich und meine Brüder waren.
Meine Seele wird ein Baum
Und ein Tier und ein Wolkenweben.
Verwandelt und fremd kehrt sie zurück
Und fragt mich. Wie soll ich Antwort geben?
***
(aus: “Das Lied des Lebens, Die schönsten Gedichte von Hermann Hesse“, Suhrkamp-Verlag Frankfurt am Main, 1986)
(v.k.)
Kennst du das auch, daß manchesmal
Inmitten einer lauten Lust,
Bei einem Fest, in einem frohen Saal,
Du plötzlich schweigen und hinweggehn mußt?
Dann legst du dich aufs Lager ohne Schlaf
Wie Einer, den ein plötzlich Herzweh traf;
Lust und Gelächter ist verstiebt wie Rauch,
Du weinst, weinst ohne Halt – Kennst du das auch?
***
(aus: “Das Lied des Lebens, Die schönsten Gedichte von Hermann Hesse“, Suhrkamp-Verlag Frankfurt am Main, 1986)
(v.k.)
…er singt dir das Lied von der Liebe, er singt dir das Lied von mir
Ich bin der Hirsch und du das Reh,
Der Vogel du und ich der Baum,
Die Sonne du und ich der Schnee,
Du bist der Tag und ich der Traum.
Nachts aus meinem schlafenden Mund
Fliegt ein Goldvogel zu dir,
Hell ist seine Stimme, sein Flügel bunt,
Der singt dir das Lied von der Liebe,
Der singt dir das Lied von mir.
***
(aus: “Das Lied des Lebens, Die schönsten Gedichte von Hermann Hesse”, Suhrkamp-Verlag Frankfurt am Main, 1986)
Im “Liebeslied” von Hermann Hesse berühren sich in ganz wenigen Worten Poesie, Natur und Musik sowie eine Stimme, die unter die Haut geht…
(v.k.)
…denn ungeboren, hab ich es bejaht…
Eh‘ ich in dieses Erdenleben kam,
ward mir gezeigt, wie ich es leben würde.
Da war die Kümmernis, da war der Gram,
da war das Elend und die Leidensbürde.
Da war das Laster, das mich packen sollte,
da war der Irrtum, der gefangennahm.
Da war der schnelle Zorn, in dem ich grollte,
da waren Haß und Hochmut, Stolz und Scham.
Doch war da auch die Freude jener Tage,
die voller Licht und schöner Träume sind,
wo Klage nicht mehr ist und nicht mehr Plage,
und überall der Quell der Gaben rinnt;
wo Liebe dem, der noch im Erdenkleid gebunden,
die Seligkeit des Losgelösten schenkt,
wo sich der Mensch, der Menschenpein entwunden,
als Auserwählter hoher Geister denkt.
Mir ward gezeigt das Schlechte und das Gute,
mir ward gezeigt die Fülle meiner Mängel,
mir ward gezeigt die Wunde, draus ich blute,
mir ward gezeigt die Helfertat der Engel.
Und als ich so mein künftig‘ Leben schaute,
da hört‘ ein Wesen ich die Frage tun:
Ob dies zu leben ich mich traute,
denn der Entscheidung Stunde schlüge nun.
Und ich ermaß noch einmal alles Schlimme –
„Dies ist das Leben, das ich leben will!‟,
gab ich zur Antwort mit entschloss‘ner Stimme
und nahm auf mich mein neues Schicksal still.
So ward geboren ich in diese Welt,
so war‘s, als ich ins neue Leben trat.
Ich klage nicht, wenn ‘s oft mir nicht gefällt,
denn ungeboren hab‘ ich es bejaht.
Beat Imhof
***
Auch wenn ich lange darüber nachdenke: Ich bin mir nicht sicher, vor meiner Geburt von einem Engel in dieser Weise befragt oder gar zu einer Entscheidung gedrängt worden zu sein…
Egal. “Das Leben, das ich selbst gewählt” ist eines der schönsten und innigsten Gedichte, das ich kenne. Das mich bei jedem Lesen immer wieder tief berührt. Das nahe geht, da es unsere menschlichen Stärken und Schwächen aufzeigt. Das versucht, aus der Perspektive des Erwachsenen den magischen Moment von der “Ungeborenheit” zum “Ich” zu beschreiben. Und das uns darin bestärkt, genau dieses Leben anzunehmen, welches uns gegeben wurde. Bedingungslos und verantwortungsvoll. Und mit einer großen Ehrfurcht vor eben diesem Leben.
PS: Noch etwas ist mir wichtig. Die Strahlkraft dieses Gedichts kollidiert in seltsamer Weise mit seiner Provenienz, also seiner Entstehungshistorie: In der literarischen Fachwelt wird dessen Urheberschaft bis zum heutigen Tag noch immer unterschiedlich bewertet und entweder Hermann Hesse, Max Hayek oder Beat Imhof zugeschrieben. Diese Situation beruht nach meiner Einschätzung in erster Linie auf ungeprüften bzw. nicht authentischen Quellenangaben zu Gedicht und Verfasser. Kopfschüttelnd nachzulesen in vielen Beiträgen. Besonders aber in den schnellen Erklärungen des Internet mit all seinen fragwürdigen oder falschen Zitaten, rudimentären Text-Schnipseln oder Pseudo-Wahrheiten.
Es sollte doch möglich sein, eine nach so langer Zeit noch immer offene Autorenschaft sachlich abzuklären (!) Der nachfolgende Faktencheck erscheint also mehr als angebracht:
Hermann Hesses mögliche Verfasserschaft von “Das Leben, das ich selbst gewählt” wird weder vom Suhrkamp-Verlag, noch vom Hesse-Museum in Calw oder der Hermann Hesse-Stiftung in Montagnola anerkannt. Die über Jahrzehnte (!) in den unterschiedlichsten Quellen und Texten erschienenen Verweise auf ihn sind damit nicht nur unsicher, sondern definitiv auch falsch. Hermann Hesse hat mit diesem Gedicht nichts zu tun. Das betrifft- neben vielen anderen- leider auch den obigen Eintrag bei Youtube (1).
Es ist Max Hayek, der nachweisbar 1916 das Gedicht “Der Weg” in der Zeitschrift “Jugend, Münchener illustrierte Wochenschrift für Kunst und Leben” erstmalig veröffentlicht (2). Thematisch ist es mit dem Moment der Ungeborenheit und der (göttlichen) Vorbereitung des Menschen auf seinen Lebensbeginn befaßt. Ein Aspekt, wie er in der anthroposophischen Weltanschaung der Reinkarnation (regelmäßige Wiederkehr des Menschen auf die Erde) eine große Rolle spielt. Und eine religiöse Vorstellung, die in vielen Glaubensrichtungen unserer Welt anzutreffen ist, u.a. auch in der Gedankenwelt der Katharer (siehe Fußnote* unten). Oder in der Vorstellung des Publizisten und Waldorf-Pädagogen Rudolf Steiner, der und dem Hayek nahe stand.
Auszug aus: “Schweizer Mitteilungen XII-2015”. Aber: Der hier gegebene Verweis auf den vermeintlichen Autor und das Entstehungsjahr (M.Hayek und 1906) ist auch hier unkorrekt, da in keiner Weise verifizierbar. Dies wurde auch im Nachfolgeheft “Schweizer Mitteilungen I-2016” ausdrücklich eingeräumt.
Leider ist Max Hayek in unserer Zeit fast vergessen (3). Hayek war ein deutsch-jüdischer Dichter, Journalist und Herausgeber, der bis 1938 in Wien lebte und arbeitete. Nach Österreichs Anschluß an das Dritte Reich emigrierte er nach Frankreich und Belgien. Während des 2. Weltkrieges war er in der Kaserne Dossin in Mechelen/Belgien inhaftiert. Von dort aus wurde er am 19. Mai 1944 nach Auschwitz-Birkenau deportiert und ist dort umgekommen.
Bleiben wir im Weiteren bei den Fakten und nachprüfbaren Quellen: Es ist nun der damalige Schweizer Schulpsychologe Dr. Beat Imhof, der vom oben genannten Gedicht Hayeks inspiriert wird und es augenscheinlich in den 1970-iger Jahren umschreibt. Aus Hayeks “Der Weg” entsteht in einer freien Adaption durch Imhof “Das Leben, das ich selbst gewählt“. Nur einigen wenigen bekannt und über all die Jahre nicht veröffentlicht, scheint es allerdings über mehrere Jahrzehnte wieder in Vergessenheit zu geraten… Erst im Jahre 2012 und mit Veröffentlichung seines Buches “Wie auf Erden so im Himmel” stellt uns Imhof dieses sein Gedicht vor, das er im Vergleich zu Hayeks “Weg” aus (4)/(5) und mit seinen Worten in “leicht veränderter Form” wiedergibt (6).
Fazit: Auch wenn sich, wie in unserem Fall, ein Dr. Beat Imhof fast ein halbes Jahrhundert nicht aktiv zu seiner Autorenschaft bekannt hat, ist er damit nachweislich der legitime Verfasser dieses außergewöhnlichen Gedichtes. Die Motive für sein langes Schweigen sind im Einzelnen nicht bekannt und damit rein spekulativ. Waren die in einer Sternstunde hingeworfenen Zeilen als Geschenk an seine damaligen Schüler gedacht? Oder haben sie ihm selbst so wenig bedeutet? Mit Sicherheit wollte Imhof mit ihnen nicht berühmt werden, sonst hätte er sie über all die Jahre nicht fast vergessen…
Dr. Beat Imhof wurde 1929 im Walliser Bergdorf Grengiols geboren. Nach dem Studium der Psychologie an der Universität Fribourg mit Doktorat in Philosophie folgte von 1959 bis 1995 eine Tätigkeit als Schulpsychologe in der Stadt Zug. Seitdem lebt Dr. Imhof am Lago Maggiore als beratender Psychologe und Schriftsteller. Er beschäftigt sich seit langer Zeit überkonfessional mit Problemen psychischer Grenzerfahrungen und der Jenseitsforschung (wissenschaftliche Parapsychologie).
Ich möchte mich an dieser Stelle ausdrücklich bei Herrn Olaf Hantl aus Frankfurt/M. für den interessanten Gedankenaustausch zu diesem Gedicht bedanken. Danke auch für die freundliche Bereitstellung seiner langjährigen, privaten Recherche-Ergebnisse. Es war mir ein großes Vergnügen!
(v.k.)